Knapp 1100 Kinder (1,80%) wurden im Jahr 2021 in Hessen außerklinisch (im Geburtshaus oder zu Hause) geboren – zurück zu den Wurzeln der Geburtshilfe. Bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts waren Hausgeburten in allen Teilen der Welt, so auch in Hessen, die vorherrschende Geburtsform. Man sollte Geburt wieder als das verstehen, was sie ist: ein natürlicher und nicht-medizinischer Prozess. Dabei ist die außerklinische Geburtshilfe bestimmten Voraussetzungen sogar sicherer als die klinische Geburtshilfe. Die 1:1 Betreuung im Geburtshaus ist nur einer von etlichen wesentlichen Vorteilen. Medial findet aber die außerklinische Geburtshilfe kaum statt und genießt nach wie vor einen eher schlechteren Ruf.
Im Zuge der Erstellung des Wahlprogramms für die hessische Landtagswahl 2023 der FREIE WÄHLER Hessen besuchte die Landesarbeitsgemeinschaft „Gesundheit und Pflege“, vertreten durch Christin Jost und Thomas Meurer ein Geburtshaus (GH), um sich umfassend über die außerklinische Geburtshilfe zu informieren. Da sich spontan kein hessisches Geburtshaus bereit erklärte, sind wir zu unseren pfälzischen Nachbarn ausgewichen. Die grundlegenden Herausforderungen in Sachen Hebammenmangel und Energiekrise sind auch hier die gleichen und omnipräsent.
„Die Frauen benötigen eine umfassendere Aufklärung über alle Möglichkeiten der Geburtshilfe, damit sie besser entscheiden können, wo ihr Baby auf die Welt kommen soll.“ findet Meurer.
Das Geburtshaus in Diez (Rhein-Lahn-Kreis/RLP) wurde im Jahr 2015 von den Hebammen Nadine Ulbricht und Cornelia Klemm gegründet und seitdem geführt. Frau Ulbricht, Frau Weimar (Verwaltung) sowie die Hebamme Celine Simon waren bereit, uns vor-Ort einige Fragen zu beantworten und uns eine Führung durch die Räume des Geburtshauses zu ermöglichen.
In Begleitung der Diezer Hebammen kamen im 1. Halbjahr 48 Kinder (davon 5 Hausgeburten) und im 2. Halbjahr bisher 36 Kinder (davon 7 Hausgeburten) zur Welt. Das sind 63% der außerklinisch geborenen Kinder in ganz Rheinland-Pfalz.
Auch das Geburtshaus hat aufgrund der Corona Pandemie und der aktuellen wirtschaftlichen Krisen neue Herausforderungen zu bewältigen. So konnten zwar durchweg die werdenden Väter bei der Geburt anwesend sein, jedoch mussten zeitweise Kurse wie z.B. Geburtsvorbereitung, Eltern-Kind-Kurse und Rückbildung komplett ausfallen. Dies drängte Frauen mit ihren Fragen, Sorgen und Ängsten zurück in den privaten Raum und verhinderte wertvollen Austausch mit anderen (werdenden) Müttern. Die Kurse konnten dann im Laufe der Pandemie glücklicherweise wenigstens online stattfinden. Dafür mussten aber vorerst technische Voraussetzungen geschaffen werden, die ebenfalls finanzielle Aufwendungen verursachten und leider können diese den engen privaten Kontakt zu den Frauen nicht ersetzen.
Dass die Väter in der klinischen Geburtshilfe teilweise von den Krankenhäusern regelrecht „ausgesperrt“ worden sind, findet Nadine Ulbricht, schon eine Verletzung von Menschenrechten. So mussten sogar Mütter, die eine stille Geburt (Totgeburt) bewältigen mussten, dies allein durchstehen.
Da im Geburtshaus Diez 40% der Geburten Wassergeburten sind, war das GH gezwungen zusätzlich eine Wasserpauschale zu Lasten der Eltern zu erheben. Auch eine Möglichkeit die Heizkosten zu senken kommt nicht in Frage, da Frauen unter Geburt und Babys z.B. in Babymassagekursen auf warme Räumlichkeiten angewiesen sind. Ebenso musste auch die Pauschale für die Rufbereitschaft erhöht werden, um den finanziellen Mehrbelastungen Rechnung zu tragen.
Das Besondere am Geburtshaus in Diez stellt das Anstellungsverhältnis der Hebammen dar. Anderswo sind die Hebammen für die Geburtshäuser freiberuflich tätig. Dies birgt Problematiken wie die hohen Versicherungsgebühren, schlechte Work-Life-Balance, unsichere Einkommensstrukturen usw. Dem entgeht Diez mit der Festanstellung der eigenen Hebammen und trägt dabei erheblich dazu bei, dass das Team sich hier wohl und abgesichert fühlt. Auch ist der Job so durch geregelte Arbeits- und Urlaubszeiten besser mit dem Privat- und Familienleben zu vereinbaren.
Die Landesarbeitsgemeinschaft findet dies überaus unterstützenswert. „Es braucht einen Anreiz für bestehende und auch neu entstehende Geburtshäuser dieses Konzept zu übernehmen, denn es löst etliche Probleme, die im Zusammenhang mit freiberuflicher Hebammerei bestehen. Hier muss man auf Landesebene dringend darüber sinnieren. Der gesamte Bereich der außerklinischen Geburtshilfe, ob nun Hausgeburtshilfe oder Geburtshaus sind ein wichtiger Baustein im Bereich der Geburtshilfe und gibt den Frauen die Chance, frei den Geburtsort zu wählen.“ sagt Jost.
Quellen: